1814 HAMBURG FRANZÖSISCHE BESETZUNG BROSCHÜRE DIE VERTRIEBENE HAMBURGER IM JANUAR 1814
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DIE VERTRIEBEN HAMBURGER - IM JANUAR 1814
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Nach der Besetzung Holsteins von den Truppen der Nord-Armee wurde, in der Mitte Decembers, Hamburg durch Russische Armee-Corps nach jeder Richtung zu, Altona mit begriffen, bis auf eine Stunde Entfernung eingeschloßen.
Altona, auf dem Glacis der Festung liegend, ist weder von Franzöischen noch Russischen Truppen behebt, durch leztere aber vom übrigen Holstein strenge abgeschnitten.
Die Bebrückungen, die bis an den Zeitraum dieser Einschliessung die unglücklichen Bewohner Hamburgs erlitten, hier zu schildern, wäre zu weit führend: die Straf-Contribution von 40 Millionen Fr ist bekannt, so wie der BankRaub: es ist nur zu erwähnen, daß die geleisteten Requisitionen über 40 Millionen betrugen, daß auf 750 Toisen um die Wälle alles niedergerissen und abgebrannt wurde, wie auch 61 Häuser von Hamm, und eine Verproviantirung von 9 Monat auferlegt worden.
Wer die Verhältnisse der untern Volksklassen und die so bebaueten nächsten Umgebungen Hamburgs kennt, wird den Umfang des Unglückes schon in diesem Beginn erkennen. Es wurde den verschiebenen Civil-Administrationen, die Regie, Post, Polizei,Douane ic. gewaltsame Verproviantirung, in den benachbarten Dörfern Districtweise anbefohlen, wodurch eine Menge Landleute aufs grausamste mit bewaffner Hand ausgeplundert wurde. In der Weihnachtswoche traten ausgedehntere Maasregeln ein: alle Vorstädte und Vordörfer wurden nach 8 stündiger Anzündigung abgebrannt: der Hamburger-Berg (6000 Einwohner enthaltend) Reeperbahn, Schulterblatt, Rosenhof, Schäferkamp, Grindel ic., die herrlichen Landhäuser an der Alster,hatten dies Schicksal, oft ohne alle militairische Ursache, wie mitten in auf Dänischem Boden hier und da belegene stehend gebliebene Häuser beweisen.
Späterhin folgte im Brande nach: Harvestehude, das schöne Dorf Eimsbürtel, ein großer Theil des Deichs,ein Theil der Altonaer Gärtnerstrasse.
Am Weihnachts- und Neujahre- Abend wurden Ausstoßungen der Einwohner in Massenveranstaltet; erst Junge und Starke als Gefährliche,dann Alte und Schwache als überflüßige Verzehrer.
Des Nachts fielen Soldaten und Häscher in die Häuser, rissen die Unglücklichen aus den Betten, erlaubten ihnen kaum sich anzuziehen, noch viel weniger etwas mitzunehmen, spertten sie auf einige Stunden in Kirchen ein und jagten mit Tagesanbruch, jeder Witterung preißgebend, sie bei taudenden aus den Thoren. Das Hab und Gut der Vertriebenen wurde den Solbaten und Pöbel zum Raube.
Das Waisenhaus wurde ausgeräumt und über 10 in der aus dem Dammthore nach Eppendorf getrieben; man fuhr ihnen, wahrscheinlich spottweise, einen der geraubten Silberbarren (3750 Mt. Courant) zur künftigen Ernährung nach.
Die Kriminal-Verbrecher aus dem Spinn- und Zuchthause sollten, sagte man, nach Lübeck abgeliefert werden, wo aber keiner angekommen ist, so da es wahrscheinlich mit andern rechtlichen Menschen vermisch, ausgetrieben worden sind.
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Aus den Hospitälern und Armenhäusern wurden Alte und Schwache heerdenweise vors Altonaer Thor gebracht; mit ihren Zest-Kleidern, die einzigen die man ihnen gelassen hatte, angethan, wankten sie in Altona's Straßen herum; man bemerkte darunter 4 Personen über hundert Jahr alt. Einige, halb angekleidet, keiner der Luft mehr gewohnt, einer Kälte von 18 bis 19 Grad ausgesetzt, wurden wahnsinnig. Es gab Scenen die selbst Französische Gensdarmen zum Schauder und lautem Ausbruch des Abscheus bewegte.
Nun kam die Reihe an die Kranken: auf einer Menge von Wagen wurden sie durch Policei-Bediente nach Altona gefahren; da hier wegen der strengen Sperrung vom Holsteinschen äußerster Mangel an Lebensmitteln, Feurung, Stroh ic. eingetreten war,versuchte man einige solcher Wagen zurück zu weisen,welches die Folge hatte, daß die armen Elenden vor dem Thore auf die Straße geworfen würden, und man von da sie herein holen mußte, wenn sie nicht umkommen sollten.
In der Neujahrswoche gab Prinz Eckmühl Befehl (note: Louis Nicolas Davout, Marschall Prinz von Eckmühl.General-Gonverneur der hanseatischen Departements) Abbrennung des außerhalb der Stadt belegenen Krankenhofes, welcher so schnell ausgeführt wurde,daß eine Menge Menschen verbrannt wäre, hätte nicht noch der Magistrat von Altona Hülfe gesandt.
Die Kranken wurden bei Nacht in tiefem Schnee auf das benachbarte (sogenannte) heiligen Geist Feld geworfen, wo man sie liegen ließ, bis Wagen kamen, auf welche alle ohne Unterschied, ob sie an Nerven- oder bösartigen Fiebern litten, blind oder wahnsinnig waren, geladen wurden. An 800 solcher Unglückliche brachte man nach dem eine Stunde davon entfernten Eppendorf, wo man von ihrer Ankunft gänzlich ununterrichtet, zu nichts Anstalt hatte so daß noch nach drei Tagen Kranke ohne Obbach waren und Tolle frei herum liefen, während welche Zeit
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noch über dem dieser Ort von den Russen mit Sturm genommen wurde.
Zu bemerken ist noch, daß alle diese Institute mit Lebensmitteln vorsorgt waren, die man ihnen für die Französischen Magazine nahm.
Die Zahl der aus Hamburg Vertriebenen ist nun an 26000; durch die Verbrennung der Umgebungen sind andere 20000 ohne Obdach und Eigenthum geworden, und täglich dauert das Austreiben und der Brand fort.
Meilen weit auf den Landstraben steht man Kinder, Frauen und Alte, alles Standes, halb verhungert und erfroren herumirren; auf den Wegen nach Lübeck und Bremen lange Züge, von Cosacken geführt, dahinschleichen.
Es bedarf keiner weitern Schilderung des Elendes, es ist Namen- und Beispielloß — den Jammer Einzelner zu erwähnen ist absichtlich vermieden.Nur eine Aufstellung dessen, was bisher zur Linderung des Unglücks hat geschehen können, sey erlaubt.
Vor allen verdienen hier Erwähnung Attonas wohltätige Einwohner, ihr Magistät und dessen würdiger Oberpräsident Herr von Bücker. Ohne allen Unterschied wurden die vertriebenen Nachdarn aufgenommen, jedes Zimmer, jeder Raum ihnen geöffnet, jede Nahrung mit ihnen geteilt. Durch Vergönnung der Obrigkeit durften daselbst sich aufhaltende angesehene Hamburger Bürger eine Commitee bilden und eine allgemeine Sammlung veranstalten,dann weiter für regelmässige Unterstügung und schleunige Weiterbeförderung sorgen.
Am 5ten Januar wurde die Elbe durch Frost ungangbar, die Transportirung der Armen nach Bremen dadurch unthunlich; an selbigem Tage trat ab
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seiten Russischer Truppen aus militairischer Nothwendigkeit strenge Blockade Altonas ein, daß so wenig Mensch wie Strohhalm passiren konnte. Beides bewirkte einerseits Anhäufung der Vertriebenen, wie andrerseits gänzlichen Mangel an den ersten Lebens Bedürfnissen.
Die Wohlgesinntheit der Russischen Befehlshaber milderte so viel als möglich dies neue Unglück einer ohnedem aufs Höchste gefährdeten Stadt, worin 1000 Fremdlinge beherbergt und an 6000 für allgemeine Kosten täglich gespeist und erwärmt werden.
Se. Königl. Hoheit der Kronprinz von Schweden haben 40000 Rthlr. zur Unterstützung der Vertriebenen angewiesen, zu deren Verwaltung Bürger der drei Hanse-Städte ernannt und Lübeck und Bremen als Versorgungs-Detier bestimmt sind; in beiden Orten sind von den resp. Magistraten Commissionen für diese Angelegenheit niedergesetzt.
Mehrere tausend Hamburger befinden sich bereits in Bremen; rechtliche Familien sind in Bürgerhäuser untergebracht; die Menge in öffentlichen Gebäuden und Gartenhäuser, — auf Bremens Mildtätigkeit kann man sich verlassen.
Lübeck — selbst in Verarmung und Roch — thut Gleiches. Auch hier wie dort sorgt man besonders für Kranke und Schwangere; für die große Anzahl Kinder ist man auf Reinlichkeit, Aufsicht und Unterricht bedacht.
Vom Senat zu Lübeck ist Herr R. Gansland,
zu Bremen ist Fr. Dr. Fr. WD. Heinecken,vom General-Staab der Norb-Armee für Hamburg Berr Gr. Perthes, ernannt.
Herr R. Gansland ist Cassenführer und nimmt Beiträge, die wohltätige einsenden wollen, mit Dank an.
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So konnte man einigermaßen denn beruhiger, aber das grässlichste des Elends auf den Wegen in diesen Hülfsorten, welchem abzuhelfen, bei dieser Jahreszeit tiefem Schnee und gänzlichen Verbrauch alles Fuhrwesens durch die Armeen, kaum zu hoffen ist, obwohl alles angewandt wird.
In Bergedorf (auf Lübeck) in Buxtehude (auf Bremen) sind stationen angelegt. Die Einwohner dieser Orte theilen das letzte ihnen Gebliebene mit den Nothleidenden
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Wer diese strenge Wahrheit gemäße Bild fordauernden Jammers gelesen hat, wird gern, wenn er kann, zur Hülfe und Linderung beitragen; niederschlagen dadurch soll sich aber niemand lassen.
Zeiten, wo Gottes wahlende Gerechtigkeit sichtbar auf Erden einhergeht, wo die vermessenste Unmaassung das Streben nach Herrschaft aufzugeben, doch zum wörtlichen Geständnis der Ohnmacht genötigt wird - Zeiten wo wenigstens der Beweis darliegt, dass Sünde und unrecht nicht dauernd herrschen können - Da muss in Kampf und Krampf, gerungen werden, kein Opfer zu gross sein! Gott wird alle Jammernden helfen.
Fr.P Fr.P (Friedrich Christoph Perthes (21 April 1772 – 18 May 1843) - war ein deutscher Buchhändler und Verleger.
8 Seiten, Brosch., 17,5 x 10 cm
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